Ich kцnnte behaupten, dass ich Architektur studiere, oder Lehramt. Das sind schцne Studienfдcher, mit denen jeder etwas anfangen kann.
читать дальшеDann wьrde mein Gegenьber freundlich nicken und mich vielleicht fragen, ob ich SpaЯ beim Studium habe. Wir wьrden ein paar Witze ьber Statik oder Erzieher reiЯen, uns wohlwollend auf die Schultern klopfen und noch ein Bier miteinander trinken.
Aber leider bin ich ein aufrichtiger Mensch, und, ebenso bedauernswert, studiere ich weder Architektur oder Lehramt, sondern Psychologie. Das heiЯt nicht, dass ich meine Entscheidung fьr dieses Fach bedauere. Das heiЯt nur, dass einige Dinge dadurch komplizierter werden.
Denn wenn ich auf die Frage nach meinem Studienfach offen und ehrlich antworte, stellt sich mein Gegenьber plцtzlich gerade hin, nimmt die verschrдnkten Arme auseinander, sagt schnell "Oh" und verlдsst fluchtartig den Raum. Ich meinerseits hole mir ein weiteres Bier und trinke alleine.
Die krampfhafte und fluchtartige Reaktion meiner Mitmenschen ist so universell, dass ich annehmen muss, dass sie unserer Spezies eigen und angeboren ist.
Ich gebe zu, es gibt Verhaltensforscher. Und es gibt Psychologen die dringend Hilfe in Anspruch nehmen sollten. Es gibt sogar Psychologen, die meinen, alle Krankheiten, von Kopfschmerzen bis Krebs, liegen in der Psyche begrьndet. Aber, und das mag ьberraschen, die meisten Psychologen arbeiten in einem ziemlich anstrengenden aber wunderschцenen Job und sie lieben ihn und machen ihn gut.
Wenn ich auf eine Party gehe, dann tue ich das nicht, um die Menschen um mich herum zu analysieren, sondern um SpaЯ zu haben und neue Leute kennenzulernen. Ich werde nicht denken, dass mein Gegenьber verschlossen ist, nur weil er oder sie die Arme verschrдnkt. Ich werde es nichtmal merken. Ich werde auch nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen und nach Hinweisen auf einen ausgeprдgten Цdipuskomplex untersuchen. Ebensowenig interessiert es mich, ob, wie und wieviel Gebдck jemand zu sich nimmt, wдhrend wir uns unterhalten. Leider wird mir genau das jedesmal unterstellt, wenn ich mein Studienfach nenne.
Wenn es etwas gibt, das mich und so manchen Psychologen von anderen unterscheidet, dann ist es wohl das Interesse an den Menschen. Es ist vielleicht die Faszination und Dankbarkeit die wir verspьren, wenn uns jemand Einblick in sein Leben gewдhrt, wenn er uns gestattet, an seinen Gedanken und Gefьhlen teilzuhaben. Und bestimmt ist es auch der Respekt vor der Einzigartigkeit und Persцnlichkeit eines Menschens. Es kцnnte das Schaudern sein, das einen ergreift, wenn man zum ersten Mal ein menschliches Gehirn sieht, und begreift, wie zerbrechlich das ist, was man Seele nennt. Wenn man die Komplexitдt und Perfektion dessen erahnt, was uns zu denkenden und fьhlenden Wesen macht. Manchmal scheint es den Verstand zu ьbersteigen was man sieht und hцrt. Wie kann man denn begreifen, dass diese graue, avocadoartige Masse bedingt, wer wir sind?
Paul Broks ein anerkannter Neuropsychologe, schreibt in seinem Buch "Ich denke, also bin ich tot": "Ob wir wollen oder nicht, wir sehen immer noch im Schein der Augen das Wunschbild einer Seele. Kosmologien kommen und gehen, aber wenn diese Illusion anfдngt zu welken, dann welkt auch der Betrachter dahin." Er beschreibt damit den schmalen Grat auf dem die Psychologie wandelt, zwischen Naturwissenschaft und Geisteswissenschaft. Um den Menschen zu verstehen und um ihm zu helfen sind wir auf die kalten Methoden der Naturwissenschaft angewiesen. Wir mьssen uns statistischer und medizinischer Methoden bedienen. Gleichzeitig sind diese denkbar ungeeignet, weil man bei ihrer Anwendung so leicht den Menschen aus den Augen verliert, um den es eigentlich geht. Denn letztlich kann man, so sehr man auch testet und prьft, nicht messen wie sehr ein Mensch liebt oder leidet. Um das auch nur annдherungsweise ahnen zu kцnnen, muss man ihn ansehen und ihm zuhцren. Man muss bereit sein, ihm ein Stьck in seine Welt zu folgen, mit offenen Augen und Ohren.
Und obwohl diese Reisen in die ganz privaten Welten der Menschen unglaublich anstrengend und alles andere als schцn sein kцnnen, wьrde ich bahupten, dass man als Psychologe einen der schцnsten und erfьllendsten Berufe der Welt haben kann, solange man sich das Staunen und die Ehrfurcht vor dem Wunder des Lebens bewahrt. Und genau deshalb, weil ich voll hinter dem stehen kann was ich mache, werde ich auf der nдchsten Party wieder ein bestьrztes "Oh" ernten und still lдchelnd mein Bier alleine trinken.
http://neon.stern.de/kat/liebe/psyc...7358/98662.html
"Ich denke, also bin ich tot":
Ich kцnnte behaupten, dass ich Architektur studiere, oder Lehramt. Das sind schцne Studienfдcher, mit denen jeder etwas anfangen kann.
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