Die Vernunft und die Liebe

Alexander Puschkin
Der junge Daphnis wollte Doris fangen
Und rief: »Was eilst du, holdes Kind, so sehr?
Sprich nur: Ich liebe dich! und nimmermehr
Verfolg' ich dich; o bleibe, laß dein Bangen!«
Laut warnte die Vernunft: »Kein Wörtchen sprich!«
Doch Eros riet: »Sag ihm: Ich liebe dich! «

Und Doris sprach: »Ich liebe dich!« Und glühend
Schlug beider Herz im ersten Liebesglück.
Zu Füßen sank ihr Daphnis, und der Blick
Der Hirtin irrte, leidenschaftersprühend.
Laut warnte die Vernunft: »O flieh geschwind!«
Doch Eros sprach, der Schalk: »Bleib, süßes Kind!«

Und Doris blieb, und, zitternd vor Verlangen,
Nahm ihre Hand der Hirt: »Ich liebe dich!
Sieh, wie die Taube mit dem Täuberich
Sich mit den Flügeln im Gezweig umfangen!«
Laut warnte die Vernunft: »O flieh geschwind!«
Doch Eros sprach: »Von ihnen lerne, Kind!«

Und Doris stand mit heißen, schamverwirrten,
Umflorten Augen da, beseligt bang,
Die Lippen flammten ihr - und plötzlich sank
Sie in die Arme des verliebten Hirten.
»Sei glücklich!« sprach Schalk Eros bei dem Sieg.
Und die Vernunft? Ei, die Vernunft - sie schwieg!